„Der will doch nur Aufmerksamkeit.“ — Vielleicht (leider) einer DER am häufigsten gesagten Sätze im professionellen pädagogischen Alltag. Und tatsächlich einer DER Sätze, bei denen ich ganz tief Luft holen muss … Aber ein Schritt nach dem anderen.
Ich glaube, diesem Satz liegt ein irrtümlicher Denkansatz zu Grunde, der davon ausgeht, dass ein vermeintliches „Fehlverhalten“ eines Kindes quasi „einfach so aus dem luftleeren Raum“ heraus und ganz ohne Vorgeschichte entsteht. Und natürlich die Annahme, dass das betreffende Kind das Verhalten ausschließlich zeigt, um den Erwachsenen damit auf die Nerven zu gehen.
Hinzu kommt noch die Angst, herausforderndes und unerwünschtes Verhalten zu verstärken, indem genau diesem Beachtung geschenkt wird. Also, ein bisschen so wie bei der Hunde-Erziehung: Wenn das Kind etwas „fein“ gemacht hat, dann bekommt es ein Leckerli und wenn es ganz und gar nicht „lieb“ war, dass wird es ignoriert oder geschimpft, bis es das „richtige“ Verhalten zeigt.
Wie jedoch nicht oft genug betont werden kann, hat jedes herausfordernde Verhalten aus Sicht des Kindes einen guten Grund und macht Sinn vor dem Hintergrund seiner Biografie und seiner Lebensumstände. Und: Hinter jedem so genannten „Fehlverhalten“ steckt ein unerfülltes Bedürfnis. Darüber hinaus teilt sich das Kind mit seinem Verhalten mit und macht auf seine Not aufmerksam.
Wenn ein Kinder (oder Jugendlicher) also mit seinem Verhalten auf sich und seine Situation hinweist, also einen Hilferuf sendet und damit ausdrückt: „Bitte, schenk’ mir deine Aufmerksamkeit.“ Und dieses Notsignal dann auch von einer pädagogischen Fachkraft erkannt wurde, was sollte diese dann eigentlich daran hindern, das Bedürfnis zu befriedigen? Woher kommt die Idee, dass unerfüllte Bedürfnisse einfach verschwinden, wenn sie nur lange genug nicht beachtet werden? Bei Hunger hilft es doch schließlich auch nicht, nichts zu essen.
„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“ (Virginia Satir)
Und ich möchte noch einen Schritt weitergehen: Was ist überhaupt schlimm daran, sich die Aufmerksamkeit des Gegenübers zu wünschen? — Jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Erwachsene möchte gesehen werden. Mit seinen Bedürfnissen, mit seinen Interessen, seinen Stärken, seinen Gefühlen und seinen Sorgen. Liebevolle Zuwendung ist essenziell für eine gesunde psychische Entwicklung; das haben unzählige Studien gezeigt.
Natürlich meine ich nicht, Beifall zu klatschen, wenn ein Kind ein Verhalten zeigt, welches ihm selbst, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen schadet. Vielmehr möchte ich dich ermutigen, hinter das Verhalten des Kinds zu schauen und zu herauszufinden, was das Kind braucht, um das Verhalten nicht mehr zu zeigen. Ohne es zu bestrafen, zu beschimpfen oder zu ignorieren.